Wofür bezahle ich Sie eigentlich – oder: warum Unternehmen 90% ihrer Ressourcen verschwenden
Tatsächlich kann man sich die Frage manchmal stellen. Doch lassen Sie uns ein kleines Gedankenexperiment machen: Stellen Sie sich vor, Sie wären Pilot oder Pilotin. Sie sind gerade fertig mit Ihrer Ausbildung, viel Stress, viel Lernen und viele Aufregungen liegen hinter Ihnen. Doch es hat sich gelohnt. Sie sind fertig mit Ihrem Training, haben alle Prüfungen bestanden, und jetzt haben Sie Ihren ersten Job. Sie haben das erste Mal diese coole, blaue Uniform mit den goldenen Streifen auf dem Ärmel an, und heute ist Ihr erster Tag als richtiger Pilot. Sie steigen in das Cockpit, nehmen auf dem rechten Sitz Platz. Der rechte Sitz ist der Platz des ersten Offiziers. Sie bereiten sich vor, Sie bereiten den Flieger vor, Sie programmieren das Flight Management System und machen die letzten Checks vor dem Abflug, Nach ein paar Minuten betritt Ihr Kapitän, also Ihr Chef, das Cockpit. Und schon während der sich setzt, merken Sie: Oh oh, der ist eigen. Ihr Chef schaut Sie an. Er schaut Sie nicht nur an, er mustert Sie, von oben bis unten. Und dann sagt er: „Wissen Sie was? Am Besten Sie reden nur, wenn ich Sie etwas frage. Dann haben wir wenigstens eine kleine Chance, dass Sie nicht dauernd Mist erzählen“.
Gut, ich weiß: wahrscheinlich sind Sie kein Pilot oder keine Pilotin, aber sicher kennen Sie solche oder ähnliche Situationen aus Ihrer Karriere. Wahrscheinlich haben Sie auch schon unter ähnlichen Chefs arbeiten müssen, oder Sie haben sich in ähnlichen Rahmenbedingen wiedergefunden. Fast jeder Mensch, mit dem ich gesprochen habe, kennt so etwas.
Wenn Sie unter solchen Umständen arbeiten müssen, wie leicht fällt es Ihnen, sich Gehör zu verschaffen. Wenn Sie wegen irgend etwas Bedenken haben, wie leicht fällt es Ihnen, diese Bedenken zu artikulieren? Wenn Sie nicht weiter kommen, wie leicht fällt es Ihnen, unter diesen Umständen um Hilfe zu bitten? Könnte es sein, dass Sie Ihre Bedenken einfach unter den Tisch fallen lassen oder ein Projekt auf die lange Bank schieben, einfach weil Sie an einer Stelle nicht weiter wissen?
Oder anders gefragt: Wenn Sie sich diese Situation noch einmal vorstellen, diesen Chef und die Stimmung, die er im Unternehmenscockpit verbreitet, wie leicht fällt es Ihnen, in so einem Unternehmen Ihr Potential zu entfalten? Wie viel Prozent Ihrer möglichen Leistung bringen Sie unter diesen Umständen auf die Straße? Könnte es sein, dass ein Großteil von dem, was Sie leisten könnten, einfach verpufft, bzw. noch nicht mal ansatzweise für das Unternehmen zur Verfügung steht?
In der Fliegerei gibt es das Konzept des Crew Resource Managements. Und im Unternehmen? Wenn wir im Flieger Resourcen derartig verschwenden, stehen wir morgen in der Zeitung. Doch in Unternehmen? Wenn wir im Unternehmen Ressourcen derartig verschwenden, dann kostet das jede Menge Geld. Und hier kommt die Frage aus der Überschrift wieder ins Spiel: Wofür bezahle ich Sie eigentlich? Wir bezahlen 100%, nutzen aber nur 10%. Im Unternehmen ist das doch völliger Blödsinn.
Aber vielleicht sind Ihre Mitarbeiter ja wirklich zu nichts zu gebrauchen. Vielleicht müssen Sie sich ja wirklich selbst um alles kümmern?
Ähm Moment: wer hat diese Mitarbeiter eingestellt? Sie?
Hm, jetzt wird es Zeit für eine Entscheidung. Entweder sind Sie nicht in der Lage vernünftiges Personal zu selektieren. Da kann man was machen, dafür gibt es hervorragende Tools. Wenn Sie mögen, stelle ich Ihnen gern den Kontakt zu einem Kollegen her, der Sie darin perfekt berät.
Wenn Sie aber „eigentlich“ die richtigen Mitarbeiter eingestellt haben, dann geht es um die Frage: Wie kann das Potential dieser Mitarbeiter optimal genutzt werden? Wie können wir unsere Ressourcen optimal managen. Gleiche Kosten, höherer Output, klingt doch gut, oder?
Aber wie kann das gehen? Wie kann man eine Kultur schaffen, in der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen optimal performen können und damit den maximalen Nutzen für das Unternehmen stiften?
Das Crew Ressource Management bietet hier eine Reihe von Ansätzen, von der Art mit Fehlern umzugehen, über Kommunikationsstrategien bis zur Führungskultur. Auf alle diese Punkte werde ich in verschiedenen Beiträgen in diesem Blog auch eingehen. Aber an dieser Stelle möchte ich mit dem naheliegendsten beginnen: Warum fragen Sie Ihre Leute nicht einfach?
Aber Stopp! Bitte nicht sofort zum nächstbesten hinrennen und fragen: Warum leisten Sie eigentlich nicht mehr? Das geht besser und effektiver.
Grundsätzlich ist es immer schwierig, wenn eine Führungskraft oder eine Vorgesetzte diese Fragen selbst und direkt stellt. Als Führungskraft sind Sie immer in einer speziellen Rolle und würden daher tendenziell nur Antworten generieren, von denen der Befragte meint, dass Sie sie hören wollen. Da können Sie auch Ihren Hund fragen, warum er das Sofakissen zerfetzt hat.
Lassen Sie doch Fragen anonym beantworten, zum Beispiel mit Fragebogen und einem Briefkasten. Oder Sie finden eine Person, der die Mitarbeiter vertrauen, und die die Antworten sammelt, anonymisiert und bündelt.
Mir geht es hier nicht um völlige Anonymität. Die funktioniert erstens sowieso nicht und zweitens: wenn das bei Ihnen das Problem sein sollte, haben Sie die Antwort auf Ihre Befragung eh schon: Es scheint bei Ihnen nicht möglich zu sein, eine kontroverse Meinung zu sagen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Wenn dem so ist, dann sollten Sie daran was tun!
Aber welche Frage kann man stellen?
Als Pilot liebe ich es ja immer sehr einfach. Insofern würde ich auch genau danach fragen, was ich wissen möchte. Geeignete Fragen könnten zum Beispiel sein:
Auf einer Skala von 0 bis 6 (Schulnoten) – wie gut ermöglicht es unser Unternehmen / unser Team Ihnen, sich voll einzubringen und Ihr Potential zu entfalten?
Wie viel Prozent Ihres Potentials können Sie bisher einbringen?
Was würden Sie sich wünschen, um effektiver arbeiten, mehr von Ihrem Potential einbringen zu können?
Was hindert / hemmt Sie?
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie bei uns ändern?
Diese Fragen sind natürlich nur Anregungen. Checken Sie bitte genau, ob die Fragen zu Ihnen und Ihren Rahmenbedingungen passen und finden Sie gegebenenfalls eigene, andere Fragen.
Eine Warnung zum Schluss: Wenn Sie Fragen stellen, bekommen Sie Antworten. Und es könnte sein, dass Sie Antworten bekommen, die Ihnen nicht gefallen. Wenn Sie das verhindern wollen, dann fangen Sie mit dem Fragen gar nicht erst an. Es gibt nur wenig, das so demotivierend ist, wie gefragt zu werden, sich zu öffnen und dann wird alles unter den Teppich gekehrt.
Auch wenn Ihnen die Antworten nicht gefallen: Kommunizieren Sie auf jeden Fall das Ergebnis Ihrer Befragung und: Kommunizieren Sie, wie Sie mit diesem Ergebnis umgehen.
Und am Schluss können Sie sich dann noch einmal die Frage stellen: Wofür bezahle ich diesen Mitarbeiter eigentlich? Und wenn dann die Antwort ist: Dieser Mitarbeiter ist jeden Cent wert, dann hat sich der Aufwand gelohnt.
Viel Spaß und happy landings
Peter Brandl