Was versteht man unter Wahrnehmungsverzerrungen (cognitive biases)?
Wahrnehmungsverzerrungen, oder auch kognitive Verzerrungen sind systematische Fehler, die unser Verstand bei der Informationsverarbeitung macht. Der Grund dafür ist, dass die schiere Menge an Informationen, die permanent auf uns einprasselt, schlicht zu groß ist und die Verarbeitungskapazität des Verstandes des Gehirns maßlos überfordern würde. Das Gehirn sucht und findet also Wege, die Menge der Informationen zu strukturieren, zu selektieren und vor allen Dingen zu reduzieren.
Das, was auf der einen Seite von großem Vorteil ist, schafft auf der anderen Seite aber wieder neue Schwierigkeiten. Wenn eingehende Informationen nämlich auf einer unbewussten Ebene verändert werden, dann können wir in der Konsequenz nicht mehr unterscheiden, was Realität, und was in unserem Kopf entstanden ist.
Wie so oft ist Bewusstheit (Awareness) auch hier der wichtigste Schritt zur Lösung des Problems. Je mehr wir nämlich über Wahrnehmungsverzerrungen wissen, desto so weniger leicht können sie uns in die Irre führen. Im Folgenden habe ich eine Auswahl der wichtigsten Wahrnehmungsverzerrungen zusammengestellt.
Erwartungsverzerrungen – Expectation Biases
Wir sehen, was wir sehen wollen. Oder: „Mit der Laune brauchst du gar nicht erst los gehen.“ Beide Aussagen stehen dafür, dass das, was wir erwarten einen starken Einfluss darauf hat, was wir tatsächlich erleben.
Neben dem klassischen Filter des Interesses, wir sehen nur, worauf wir unseren Fokus richten, beschreibt die Psychologie noch andere Effekte, wie zum Beispiel den Priming-Effekt.
Priming-Effekt
Priming-Effekt bedeutet, dass Informationen immer einem vorher gesetzten Bezugsrahmen gesehen werden. Dieser Bezugsrahmen ist der Prime.
Ein typischer positiver Prime ist zum Beispiel „Paris, die Stadt der Liebe“. Wenn man so „ge-primed“ nach Paris fährt, wird man die Stadt sicher völlig anderes erleben, als wenn man sich vorher mit der grassierenden Jugendkriminalität in den Pariser Vorstädten beschäftigt hat.
Ein weiters klassisches Beispiel für den Priming-Effekt sind Sonderangebote. Wir setzen den Preis in Relation zum vermeintlichen Originalpreis, dem Prime. Und deswegen erscheinen uns dann (vermeintliche) 60% Rabatt als besonders günstig
Bestätigungsfehler (Confirmation Bias)
Confirmation Bias bedeutet, dass Menschen sich bevorzugt Informationen suchen, die ihre bestehenden Meinungen und Überzeugungen stützen, während sie andere ignorieren. Man kann also nicht wirklich von einem Entscheidungsprozess reden, da ja primär nur nach Bestätigung gesucht wird.
Das Problem dabei ist, dass wir dabei regelmäßig Informationen ignorieren, die unserer Meinung widersprechen. Aber gerade diese Informationen wären eventuell nötig, um sich ein differenzierteres Bild zu machen.
Halo-Effekt
„Halo“ bedeutet Heiligenschein, oder Überstrahlung. Der Halo-Effekt ist also eine besondere Form des Primings und beschreibt den Umstand, dass einmal gewonnene Einstellungen, alle zukünftigen Informationen überstrahlen.
Wenn du zum Beispiel einen Menschen erst einmal als besonders sympathisch eingestuft hats, dann kann der relativ viel Mist bauen, bevor du deine Einstellung revidierst – umgekehrt gilt das natürlich auch.
Bubble Bias
Die Bubble Bias ist eine besondere Form der Bestätigungsverzerrungen. Aufgrund der Algorithmen von Social-auch Media, aber so ziemlich aller E-Papers und virtuellen Zeitschriften, werden uns primär Inhalte angezeigt, die uns interessieren. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass unsere Informationsmedien hier schon einen Filter anlegen, nämlich bei der Auswahl von Inhalten. Solche Inhalte, die unserer Meinung oder Einstellung widersprechen, werden uns gar nicht erst angezeigt.
Als Resultat befinden wir uns in einer Blase (bubble), in der alle die gleiche Meinung haben. Problematisch ist, dass wir diese Bubble nicht wahrnehmen und deshalb glauben, dass wirklich ALLE diese Meinung vertreten.
Eskalierendes Commitment
Als eskalierendes Commitment (Escalation of Commitment) wird der Effekt bezeichnet, dass Menschen an einer einmal getroffenen Entscheidung nicht nur festhalten, sondern sie sogar noch verstärken.
Wir investieren also weiterhin Zeit, Geld und Energie in ein Projekt oder eine Strategie, obwohl bereits immer klarer abzusehen ist, dass diese Entscheidung nicht erfolgreich sein, oder scheitern wird.
Unterstützt wird das Ganze dann natürlich noch von den Erwartungs- und den restlichen Bestätigungsverzerrungen.
Emotional Tags
Emotional Tags sind emotionale Verknüpfungen (Markierungen), die wir an bestimmte Informationen, Ereignisse oder Situationen koppeln. Wenn wir z.B. Informationen von Menschen bekommen, die wir mögen, werden wir diese Informationen deutlich positiver bewerten, als wenn es anders herum wäre.
Verdrängungsverzerrungen – Repression Biases
„Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“ – Dieses Sprichwort beschreibt, was mit Repression Bias gemeint ist. Wir neigen dazu Informationen, die uns in unseren Meinungen und Überzeugungen bedrohen, schlicht zu ignorieren. Konkret bedeutet das, dass wir solche Informationen überhaupt nicht wahrnehmen. Und alles, was wir nicht wahrnehmen, kann natürlich auch keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess haben.
Verwechslung von Korrelation mit Kausalität
Korrelation bedeutet, dass ein Ereignis zusammen mit einem anderen auftritt. Zum Beispiel wird zum Jahreswechsel oft geknallt. Kausalität bedeutet, dass ein Ereignis die Ursache für ein anderes Ereignis ist. Zum Beispiel gefriert Wasser bei unter 0 Grad Celsius. Die Aussage, dass Temperaturen unter 0 Grad zu Frost führen, ist also kausal. Die Aussage das Feuerwerk der Grund für den Jahreswechsel sei, ist Blödsinn.
Das Erschreckende ist , wie oft selbst in seriösen Medien dieser Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität ignoriert wird, und mehr oder weniger zufällige Zusammenhänge als Ursachen deklariert werden.
Verzerrungsblindheit
Ein besonderer Charme liegt für mich auf der Verzerrungsblindheit. Dieser Effekt bezeichnet, dass wir uns selbst als weitgehend unbeeinflusst, oder gar resistent gegen Verzerrungen aller Art bezeichnen.
Eigentlich umfasst diese Bias fast alle anderen: Wir glauben, wir könnten uns auf unseren Verstand verlassen. Dabei sehen wir nur, was wir sehen wollen; ignorieren alles, was unser Selbstbild gefährdet, werden von dann noch unserer Bubble darin bestätigt, und eskalieren, wenn wir keine Argumente mehr haben. :-)
Interesse geweckt? Dann lassen Sie uns reden …